Ein alter Bekannter.

Livestreams gibt es nicht erst seit der Coronakrise. Ganz im Gegenteil, sie haben sich nur nie auf breiter Basis durchgesetzt. Obwohl fast so alt wie das Internet, war Livestreaming zunächst in erster Linie für die Gamingkultur oder Nischenthemen wie Grime interessant. Zum Beispiel Wiley, dessen ustream Sessions Legendenstatus in der Community haben.

Später dann auf breiterer Basis bei Boiler Room, wo es nicht nur um die Musik geht, sondern auch um Exklusivität, ums Dabeisein und darum, es alle anderen wissen zu lassen. Oder der Livestream löst ein Problem, wie zum Beispiel überfüllte Hörsäle.

Der Livestream hat sich zunächst vor allem auch in Fringe Groups durchgesetzt. Zum Beispiel Mukbang, was wörtlich “Essen im Livestream” bedeutet. Hier zahlen Menschen Geld dafür, mit einem Host beim Essen zu interagieren.

Virtually Everyone.

Technologischer Fortschritt und die Tatsache, dass nur wahrgenommen wird, wer produziert, bildeten die Grundlage für den langsamen aber stetigen Siegeszug von Livestream.
Und dann kam Corona und der Lockdown.

Plötzlich streamen alle und jede*r, weil öffentliches Leben nur mehr online stattfindet. Und Streaming Plattformen, die bisher von Gaming dominiert waren, werden von Kultur, Sport und literally everything gekapert. Twitch hat soviel Zugriffe wie noch nie und auch andere Streaminganbieter sind am Ende ihrer Serverkapazitäten.

Formel 1 Fahrer Charles Leclerc ist im Moment soviel am Streamen auf Twitch, dass selbst seine Freundin ihn nur dort erreichen kann.

Es gibt Live-Updates von so ziemlich allen Celebrities, WWE Wrestling-Fights ohne Publikum und digital Staycation, wo Hotels ihre Panoramen streamen.

Techno Monday! von CommissarLag auf www.twitch.tv ansehen

Im Augenblick ist alles und jede*r live. Vom Yoga Studio um die Ecke bis zum Berghain DJ Lag, der jetzt vor Publikum seine Tracks produziert.

“People are going to get tired of watching three hours of live music in a stream.”
- Eric Willin, Condé Nast

Aber wen interessiert das überhaupt?
Ist es der Weisheit letzter Schluss, das Analoge einfach zu digitalisieren? 

Wenn ein Radrennen virtuell stattfindet, und die Fahrer auf ihren Trainerrollen gegeneinander die Tour of Flanders austragen, dann ist es immer noch ein echtes Radrennen, nur ohne Platten, Stürze und Teamtaktik. Eine kreative Neuinterpretation des Radfahrerlebnisses, die vor allem die Touchpoints der Rad-Community abdeckt.

Aber wenn RZA gegen DJ Premier in einem Battle auf Instagram Live antritt und sich die halbe Hip Hop Welt, inklusive Weltstars, im Chat die Klinke in die Hand gibt, dann entsteht eine ganz eigene Experience. 

Das wohl beste Beispiel für einen Livestream, der zu einem weltweiten Ereignis wurde, ist Travis Scotts “Astronomical”.
Scott, der auf einem Fortnite Server als übergroßer Avatar performt, während 27 Millionen User*innen live dabei sind, hat damit nicht nur Rekorde gebrochen, sondern auch das Potential digitaler Experiences gezeigt.

Es ist also klar, dass ein Event nicht im Real Life stattfinden muss um einen “echten” Mehrwert zu erzeugen und es wert ist, dabei zu sein. Viel mehr entstehen gänzlich neue Experiences. Wenn Diplo sagt Fomo doesn’t exist anymore”, dann meint er damit, dass es nichts mehr zu verpassen gibt. Denn ein Diplo Set im eigenen Wohnzimmer, ohne Schlange am Klo und Free Refills am Kühlschrank hat ganz eigene Vorzüge.

Live is the new normal.

Taobao macht Farmer kurzerhand zu E-Shopping Stores. ©Taobao

Und daran werden wir uns gewöhnen, denn Livestreams sind "here to stay". Ob als neuer Absatzmarkt mittels E-Shopping, wie Chinas Farmer es auf Taobao vorleben, oder als Digital Experience für Fashion, Luxury und andere Events.

Fortnite und Travis Scott haben gezeigt, wie man etwas kreiert, das wesentlich größer ist als eine banale Live-Übertragung eines Konzertes.  Die Weiterentwicklung hin zu einer ganz eigenständigen, digitalen Experience zeigt, dass der Push in Richtung Live von denen gewonnen wird, die Digitale Experiences neu erfinden.